Ausgangspunkt: Die Krise überwinden, neue Chancen nutzen
Knapp ein Jahr vor der Landtagswahl stehen Weichenstellungen von immenser Bedeutung an. Denn unser Land befindet sich im Ausnahmezustand. Die Covid-19-Pandemie beherrscht seit Wochen die Gesundheitssysteme, die Wirtschaft, die Bildungseinrichtungen, die Politik und unseren Alltag. Existenzen sind bedroht. Hier bedarf es nicht nur eines kurzfristig wirksamen und angemessenen Krisenmanagements. Vielmehr muss es jetzt vermehrt darum gehen, aus der Krise zu lernen und zukunftsfähigere Strukturen aufzubauen.
Unübersehbar wird in dieser Krise zum Beispiel, dass unser Konsum- und Lebensstil und unsere Wirtschaftsweise an Grenzen gestoßen sind. Die vorherrschende Ökonomie basiert auf der Mehrung des privaten Profits und einem beständigen, grenzenlosen Wachstum. Dies ist in unseren begrenzten Systemen nicht nur ruinös, sondern gerade in solchen Krisenzeiten auch gefährlich. Es sprengt nicht nur die Gesundheitseinrichtungen und sozialen Sicherungssysteme, sondern auch unsere Lebensgrundlagen insgesamt und damit letztlich auch unsere ökonomische Basis.
In der Krise zeigt sich aber zugleich auch eine besondere Chance zum Umsteuern. Dies erkennen jetzt viele Menschen in unserem Land. Ist es nicht bemerkenswert und Hoffnung stiftend, wie besonnen die große Mehrheit der Bevölkerung auf die Gefahren und drastischen Einschränkungen reagiert? Nachbarschaftshilfe, Zusammenhalt und Gemeinwohl gehen vor persönlicher Vorteilsnahme, Konkurrenz und Konsum oder Freizeitaktivitäten. Unser demokratisches Gesellschaftsmodell bewährt sich dabei weitgehend, vor allem wenn es auf Einsicht, Transparenz, Solidarität und zivile Mitverantwortung setzt und die Bürgerrechte nicht auf Dauer einschränkt. Autoritäre Populisten scheinen zurzeit geringere Chancen zu haben. Es wird allzu deutlich, dass sie keine Lösungen anzubieten haben.
Bei allen Existenzsorgen, Einschränkungen und Kontaktverboten: Viele Menschen erleben auch einen Zugewinn, nämlich dass Entschleunigung und geringerer Konsum ein Mehr an Lebensqualität und Zufriedenheit bedeuten kann. Niemand sehnt sich nach Fluglärm, Verkehrsstau oder Feinstaub-Belastung. Die Umwelt atmet auf, zumindest für einige Wochen. Auf einmal wird eine Vision erlebbar von gesunden, ruhigeren, stressarmen Lebensräumen und einem achtsamen, gemeinwohlorientierten, sinnstiftendem Zusammenleben. Die neuentdeckten gesellschaftlichen Fähigkeiten in der aktuellen Krise zeigen unserer Gesellschaft auch die Chance zu einer grundlegenden Neuorientierung auf. Und die Politik ist aufgefordert, den dauerhaften Rahmen hierfür zu schaffen.
Ein Weiter-so und ein politisches Verständnis, nach der Krise möglichst viele Finanzhilfen, Subventionen und Gesetzeserleichterungen zu bieten, damit ein ungebremstes Wachstum rasch fortgesetzt werden kann, ist fehl am Platz. Es führte unweigerlich zur nächsten Blase und Krise. Und damit einhergehen würde eine weitere Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und eine neuerliche Entsolidarisierung der Gesellschaft. Stattdessen brauchen wir dringend eine umfassende öko-soziale Transformation. Konjunkturprogramme müssen Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Wirtschaftsbereichen schaffen und Unternehmen bei der Transformation hin zu einer Gemeinwohl-orientierten Wirtschaftsweise unterstützen.
Mit diesem Anliegen wenden wir uns heute insbesondere an die Landespolitik. In den grundlegenden Politikfeldern zeigen wir auf, mit welchen Kernforderungen Rheinland-Pfalz die derzeitigen und künftigen Krisen angehen muss.
Wir erwarten zusammen mit vielen weiteren Verbänden und aktiven Bürger*innen, dass Regierung, Fraktionen und Parteien noch vor der Wahl dazu inhaltlich Stellung beziehen und diese in ihren Programmen berücksichtigt. Im Laufe des anstehenden Wahlkampfes werden wir unsere Konzepte und Forderungen noch konkreter einbringen.
Die Politik auf allen Ebenen, insbesondere auch die Landespolitik, muss sich nach den folgenden Grundsätzen neu orientieren:
Unsere Daseinsvorsorge ausbauen und die Lebensgrundlagen schützen
1. Umwelt- und Gesundheitsschutz zusammendenken
Offensichtlich liegt die Ursache der Covid-19-Virusinfektionen in einem Überspringen des Erregers von Wildtieren auf den Menschen. Diese Epidemie und ähnliche in der Vergangenheit werden begünstigt durch die Vernichtung von natürlichen Lebensräumen, den Verlust der Artenvielfalt und das enge Zusammenleben von Menschen mit Tieren (Kulturfolger, „Bushmeat“, Massentierhaltung). Es gibt Hinweise darauf, dass hohe Feinstaubbelastungen einen schweren Verlauf von Atemweginfektionen wie Covid-19 oder SARS begünstigen. Ein wirksamer Umwelt-, Natur- und Tierschutz ist somit zugleich auch Prävention vor weiteren Epidemien und Gesundheitsschutz. Unser Umgang mit Tieren, seien es Wild- oder Nutztiere, muss grundlegend verändert werden. Auch in Rheinland-Pfalz muss tiergerechte Haltung oberste Priorität haben und wir sind mit dafür verantwortlich, wie global mit den natürlichen Lebensräumen umgegangen wird.
2. Eine gute Ernährung für alle
Nicht nur die aktuellen Gesundheitsgefahren, auch Arten- und Klimaschutz erfordern ein radikales Umsteuern unserer Ernährung: 80 Prozent der weltweiten Rodungen von Naturräumen dienen der Gewinnung von Futterpflanzen. Jedes Kilo Fleisch verursacht zwischen 0,6 und 3 kg CO2-Ausstoß, Gemüse dagegen nur 0,01 – 0,05 kg. Degradierung von Böden, Wasserbelastung und Insekten- und Artensterben stehen in enger Beziehung zum agrarindustriellen, fleischdominierten Nahrungsmittelsektor.
Rheinland-Pfalz braucht darum eine Ernährungswende zu Gunsten des ökologisch-bäuerlichen Landbaus. Hierzu gehört der Verzicht auf Pestizide und die Förderung regionaler Vermarktungsstrukturen sowie eine industrie-unabhängige Landwirtschaftsberatung und Verbraucher* innen-Aufklärung. Extensive Tierhaltung erhält unsere artenreiche Kulturlandschaft. Deshalb muss eine flächengebundene, tiergerechte Haltung unterstützt werden samt regionaler Schlachtereien und Molkereien. Öffentliche Kantinen und Bildungseinrichtungen müssen deutlich mehr frisch zubereitete vegane, vegetarische und regionale Gerichte anbieten.
3. Klimaschutzmaßnahmen beschleunigen, Energiewende fortsetzen
Die bedrohlichen Folgen der Klimaerhitzung für Mensch und Natur sind längst wissenschaftlich belegt, wenn auch komplexer als ein plötzlicher Virus. Leider wird dies zurzeit von der Coronakrise verdrängt, und längst beschlossene Klimaziele werden wieder in Frage gestellt, zum Beispiel beim Kohleausstieg oder im Verkehrssektor. Insbesondere fehlt es an konsequenten Maßnahmen in Wirtschaft und Politik. Die Coronakrise zeigt aber, dass die Bevölkerung zum grundsätzlichen Umdenken bereit ist. Auch die Anliegen der Fridays-For-Future-Bewegung bestehen fort.
Rheinland-Pfalz muss den Klimaschutz zur kommunalen Pflichtaufgabe machen, die Verkehrsinfrastruktur zu Gunsten des Umweltverbunds umbauen und Fördermittel zwingend an Nachhaltigkeitsstandards binden. Wir erwarten vom Land eine Beschleunigung der Energiewende und Initiativen zur Energieeinsparung, zum Ausbau der dezentralen Wind- und Solarenergie und praktikable Rahmenbedingungen und Förderinstrumente. Eine dezentrale Energieversorgung mit Erneuerbaren aus Bürger*innenhand sorgt für Akzeptanz und schafft regionale Wertschöpfung. Rheinland-Pfalz muss deutlich aktiver für die Abschaffung des hemmenden Photovoltaik-Deckels kämpfen und gegen inakzeptabel weite Abstandsregelungen bei der Windkraft. Windhöffige Standorte müssen stärker für die Windkraft genutzt werden.
4. Umweltschonende Mobilität in Stadt und Land
Eine umwelt- und sozialverträgliche Mobilität gehört zur Daseinsvorsorge unseres Landes. Bisher leiden die Städte unter den Blechlawinen und Schadstoffen des Individualverkehrs und hohen Bus- und Bahnpreisen, während die ländlichen Gebiete zumeist vom Nah- und Schienenpersonenverkehr abgehängt sind. Nutzen wir die derzeit erlebte Entschleunigung für neue Konzepte zur Schaffung von lebenswerten Städten und Dörfern mit mehr Raum für alle Menschen und weniger versiegelten Flächen für abgestellte Autos!
Wir brauchen jetzt einen attraktiven, bezahlbaren ÖPNV und den Wiederausbau der Schiene, vor allem auf dem Land. Der Flugverkehr muss stark eingeschränkt werden. Die aktuelle Krise zeigt uns, dass Besprechungen mit weiten Anreisen durch Video-Konferenzen ersetzt werden können. Außerdem brauchen wir einen Stopp für Neu- und Ausbau von Straßen. RLP hat die höchste Straßendichte Deutschlands! - Die dadurch freiwerdenden Mittel müssen in den Ausbau nachhaltiger Mobilität fließen, also in Fußgänger- und Radwege sowie Schienen und Busspuren.
Der BUND RLP wird in Kürze ein detailliertes Ausbauprogramme für den Schienenverkehr im Land veröffentlichen.
5. Artenschutz und Biotopvernetzung
Weltweit gibt es etwa 8 Mio. Tier- und Pflanzenarten, davon sind laut Weltbiodiversitätsrat IPBES 1 Mio. vom Aussterben bedroht. Die Aussterberate steigt so schnell an, wie nie zuvor, seit es den Menschen gibt. Diese alarmierende Entwicklung geht auch an Rheinland-Pfalz nicht vorbei. Das Insektensterben ist auch bei uns unübersehbar, auf Agrarflächen findet man kaum ein Wildkraut mehr. Die Schläge sind in den letzten Jahrzehnten immer größer geworden, Hecken und andere Vernetzungsstrukturen wurden beseitigt. Feuchte Flussauen findet man nur noch in Resten. In Städten und Dörfern nehmen Versiegelung und Schottergärten zu, das Vogelgezwitscher ist leise geworden. Unser Land verarmt in seiner Artenvielfalt Jahr um Jahr, insbesondere im Offenland. Und unser Konsum und Lebensstil und unsere Ressourcen- und Lebensraum-verbrauchende Wirtschaft trägt Mitschuld am globalen Artensterben.
In Rheinland-Pfalz gibt es einige Projekte, die dem Artensterben durch den Schutz von Lebensräumen entgegenwirken sollen. Hier ist insbesondere der Nationalpark Hunsrück-Hochwald zu nennen, aber auch weitere Projekte wie das Naturschutzgroßprojekt „Bänder des Lebens“. Auch der BUND bringt sich mit eigenen - vom Land oder Bund geförderten – Projekten ein. Beispiele sind das „Blühende Rheinhessen“, der Grüne Wall im Westen und die „Spurensuche Gartenschläfer“.
Es sind auch Erfolge zu verzeichnen. Der Wolf siedelt sich wieder an, manche Arten, wie der Schwarzstorch können sich wieder etwas ausbreiten. Aber all das gleicht die anderen Verluste nicht aus! Naturschutz in einzelnen - oft zeitlich begrenzten - Projekten, reicht nicht aus. Notwendig sind ein kontinuierlicher Naturschutz auf ganzer Fläche und vor allem eine Vernetzung isolierter Lebensräume. Der Schutz der Landschaft vor weiterer Zerschneidung durch Verkehrstrassen, Gewerbe- und Neubaugebiete muss endlich ernst genommen werden, ebenso die Ablösung der industrialisierten Landwirtschaft durch schonendere Nutzungsformen und weitere Einschränkungen beim Pestizideinsatz. Wenn Blühpflanzen und Insekten fehlen und die Bestäubung ausfällt, gefährden wir unsere Nahrungsmittelsicherheit und die Basis unserer Volkswirtschaft, sagt auch der IPBES. Rheinland-Pfalz hat durch seine noch kleinteiliger strukturierte Kulturlandschaft gute Chancen zum Erhalt der Artenvielfalt und der Biotopvernetzung. Es braucht dazu aber ganzheitliche Konzepte und ausreichend Personal und Finanzmittel sowie funktionierende Strukturen. Eine gute Basis hierfür könnte die Einrichtung von Ökologischen Stationen sein.
6. Wald erhalten und naturnah umbauen
Rheinland-Pfalz besteht zu rd. 42 Prozent aus Wald, so viel wie (neben Hessen) in keinem anderen Bundesland. Wald ist Lebensraum vieler Arten, bietet Erholung, liefert nachhaltige Baustoffe, kühlt, ist Kohlenstoffsenke und Trinkwasserreservoir. Unser Wald ist jedoch laut aktuellem Waldzustandsbericht extrem geschädigt. 82 Prozent der Bäume weisen Schäden auf. Nach den Trockensommern, Sturmschäden und dem Borkenkäferbefall sind v. a. viele Fichten abgestorben, aber wegen Wassermangels auch Laubbäume. Es ist zu befürchten, dass der Wald dem Dauerstress aus Trockenheit, Luftschadstoffen und gleichbleibend starker Bewirtschaftung nicht gewachsen sein wird.
Die Landespolitik muss darum den Wald vorrangig schützen mit einem Programm für einen naturnahen Umbau in Richtung standortheimischer Bestockung und Förderung der Naturverjüngung statt großflächiger Wiederaufforstung. Die Bewirtschaftung muss sich stärker an der langfristigen Stabilität der Wälder orientieren. Wasser muss im Wald gehalten und der Boden so wenig wie möglich mit schweren Maschinen befahren werden. Die Jagd ist den Erfordernissen der naturnahen Waldbewirtschaftung anzupassen. Eine Naturverjüngung ohne Verbissschutz muss möglich sein.
7. Wasser und Boden schützen
Auch unser Wasser ist in Gefahr: Neben der klimabedingt sinkenden Grundwasserneubildung und Bodenversiegelung ist hier die überhöhte Düngung der Landwirtschaft mit der Folge von Nitrateinträgen das Hauptproblem für unser Trinkwasser. Die EU-Düngeverordnung muss strikt angewendet, und mit der Wasserrahmenrichtlinie müssen unsere Fließgewässer vor Schadeinträgen geschützt werden. Hierzu ist z.B. ein ausreichend großer Gewässerrandstreifen von mindestens 10 Metern flächendeckend umzusetzen, nur so lassen sich die Gewässerschutzziele erreichen.
Eng damit zusammen hängt ein wirksamer Bodenschutz. Unser Boden darf nicht weiter versiegelt und degradiert werden. Sonst verliert er seine Fruchtbarkeit und die Fähigkeit zur CO2- und Wasserspeicherung. Raumordnung und Landnutzung in Stadt und Land müssen sich völlig umorientieren. Der Flächenfraß durch Wohn- und Gewerbegebiete und Verkehrsflächen muss gestoppt werden. Dazu muss Rheinland-Pfalz eine konkrete Strategie entwickeln, wie wir das Ziel der Bundesregierung erreichen, mittelfristig auf einen Flächenverbrauch von Netto-Null zu kommen. Auch die Landwirtschaft muss die fruchtbaren Humusschichten schützen. Humus speichert CO2 und Wasser und ist wirksamer Klima- und Hochwasserschutz.
Für eine Wirtschaft, die den Menschen dient
8. Gemeinwohl- und Regionalwirtschaft stärken
Die aktuelle Krise darf nicht benutzt werden, um Verschwendungswirtschaft und Wachstumsfixierung fortzuführen und nach einer Rezession noch zu beschleunigen. Im Gegenteil: Die aktuelle Krise zeigt uns, dass wir neue Wohlstandsmodelle und eine neue Form der Wohlstandsbewertung entwickeln müssen. Insbesondere die Fxierung auf das Wirtschaftswachstum als Wohlstandsindikator ist nicht mehr zeitgemäß. Damit wird ausgeblendet, ob das Wirtschaften zum Gemeinwohl beiträgt, gute Arbeit schafft oder den Umweltschutz unterläuft.
Es ist damit zu rechnen, dass zur Bewältigung der Krise Konjunkturförderprogramme aufgelegt werden. Diese müssen, auch im Land, gezielt in Klimaschutz und Gemeinwohl investiert werden: Ausbau der Erneuerbaren, Sanierung von Altbausubstanz und Ausbau von Bus, Bahn und Wegeinfrastruktur stärken kleinere Betriebe und sichern regionale Arbeitsplätze nachhaltiger als kapitalintensive Großprojekte (die dazu noch oft zu Lasten der Umwelt gehen, wie zum Beispiel der von der Landesregierung forciert Bau der Autobahn A1 durch die Eifel oder der Ausbau der B10 durch den Pfälzerwald).
Der Gewerbe- und der Dienstleistungssektor müssen grundsätzlich viel stärker Gemeinwohlkriterien entsprechen. Die Vergabe öffentlicher Aufträge muss an öko-soziale Standards, wie die Zahlung von Mindest- bzw. Tariflöhnen, gebunden werden. Diese müssen in der gesamten Lieferkette eingehalten werden.
Die Globalisierung muss angesichts der Corona-Krise überdacht werden. Regionale Wirtschaftskreisläufe, Suffizienz und Selbstversorgung sowie die Begrenzung der Macht globaler Großkonzerne müssen endlich in Angriff genommen werden. Regionale und dezentrale Versorgungsstrukturen sind nicht nur klima- und umweltfreundlicher, sondern auch resilienter gegenüber Schocks wie Finanzkrisen, Naturkatastrophen und Pandemien. Vor Ort aber auch global braucht es direkte und faire Lieferbeziehungen.
9. Für zukunftssichere Arbeitsplätze
Die Coronakrise macht überdeutlich: Gerade in den Bereichen Gesundheit und Pflege, aber auch im Handel ist „gute Arbeit“ leider meist nicht die Realität. Immer weniger Menschen arbeiten unter dem schützenden Schirm von Tarifverträgen, der Niedriglohnsektor wächst und das Gehalt reicht oft nicht zum Leben, insbesondere bei Frauen. Dies alles geht oft zu Lasten der Gesundheit der Beschäftigten. Plakativer Beifall für ihren Einsatz beim Krisenmanagement genügt auf Dauer nicht. Zum Beispiel Verkäufer* innen oder Pflegepersonal benötigen eine tariflich abge-sicherte und leistungsgerechte Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen. Der öffentliche Dienst muss hier Vorbild sein. Gewerkschaften und Umweltverbände erkennen: Aus dem Konflikt zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten ist ein sozial-ökologischer Transformationskonflikt geworden. Die Entwicklung von Arbeit, Gesellschaft und Natur durchdringen einander.
10. Gerechte Globalisierung und Förderung entwicklungspolitischer Initiativen
Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen von 2015 stellen auch den Rahmen für das entwicklungspolitische Engagement eines Landes. Denn nur so können eine gerechte Globalisierung, die Bekämpfung von Armut, der Umweltschutz, die Sicherung der Demokratie und des Friedens weltweit gesichert werden.[1]
Dazu muss auch das Land Rheinland-Pfalz seinen Beitrag leisten durch eine öko-soziale Beschaffung (institutionalisiert z.B. mit einer eigenen Beratungsstelle), die Förderung des Globalen Lernens und die Weiterentwicklung der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Partnerschaften und der Austausch mit Ländern des Südens müssen ausgebaut werden. Auch die entwicklungspolitischen Initiativen und Netzwerke in RLP müssen vom Land stärker gefördert werden. Wir erwarten von unseren Landespolitiker*innen, dass diese sich aktiv für die Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes einsetzen.
Bildung und Demokratie
11. Ökologische Grundbildung und Innovationen im Bildungswesen
Für eine öko-soziale Transformation unserer Gesellschaft ist auch eine Weiterentwicklung unserer Bildung erforderlich. Seit langem weisen Umwelt- und Sozialverbände und zuletzt auch die Jugend mit ihren Straßenaktionen zur Klimakrise selbst darauf hin, dass das aktuelle Bildungswesen Schüler*innen nicht in die Lage versetzt, selbstverantwortlich eine überlebensfähige Zukunft zu gestalten. Zwar ist auch technische Ausrüstung wichtig – und wie die Krise gezeigt hat, mangelt es an Schulen wie auch zuhause oft an moderner Ausstattung –, doch sind es die Inhalte umso mehr: Eine solide ökologische Grundbildung und soziales Lernen müssen in allen Bildungsstätten des Landes Vorrang bekommen. Dies beginnt in der Grundschule und reicht bis in universitäre Bildungsgänge. Sozioökonomische Benachteiligungen müssen dabei stärker erkannt und ausgeglichen werden. Die Umstellung des Schulbetriebes auf digitale Vermittlung von Inhalten kann zwar neue Lernformen und Modernisierungen anstoßen. Sie läuft jedoch Gefahr, die Kluft zwischen bildungsnahen Schichten und sozioökonomisch benachteiligten Kindern bzw. solchen mit Migrationshintergrund weiter zu vertiefen. Es müssen Möglichkeiten entwickelt werden, wie benachteiligte Kinder auch unter Krisen-Bedingungen unterstützt und gefördert werden können.
Der weitere Ausbau der Ganztagsschulen könnte zusätzlichen Raum für ökologische und soziale Projekte schaffen, wo Kinder und Jugendliche lernen, sich handlungsorientiert und vertieft mit Biodiversität, praktischem Naturschutz, Gesundheit, Ernährung oder gesellschaftspolitischen Entscheidungsprozessen auseinanderzusetzen.
12. Unsere Demokratie schützen – zusammen mit der Zivilgesellschaft
Die Coronakrise stellt unsere Demokratie vor ungekannte Herausforderungen. Parlamentsarbeit wurde erschwert, an die Stelle von Debatten traten schnelle Entscheidungen der der Exekutive, die Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit wurden erheblich eingeschränkt. Ein Diskurs in und mit der Zivilgesellschaft über drängende Probleme etwa im Klima- oder Artenschutz, bei der Energiewende oder Wirtschaftspolitik ist trotz neuer medialer Formen seither kaum möglich. Öffentlicher Protest oder Aktionen sind gänzlich unmöglich, ein wichtiges Korrektiv der Exekutive fällt aus. Diese Einschränkungen dürfen nur auf Zeit gelten. Bürger*innenrechte und Mitwirkung müssen so bald wie möglich wieder ausgebaut werden. Auch die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichts unterstreicht die Bedeutung der Versammlungsfreiheit. Es muss laufend geprüft werden, ob nicht kleinere Versammlungen, Straßenaktionen oder z.B. Menschenketten mit ausreichend Hygienemaßnahmen umgesetzt werden können.
Durch die Welle der Solidarität sind auch Rechtsradikalismus und Populismus etwas in den Hintergrund getreten. Hanau und Kassel zeigen aber, wie gefährlich Rechtsextremismus ist. Hier müssen Behörden weiterhin wachsam bleiben. Dies ist aber auch Aufgabe der gesamten Zivilgesellschaft. Mit rechten, demokratiefeindlichen Gruppen darf es keine Kooperation geben, zumal diese auch den Klimawandel leugnen.
Der BUND als Teil der demokratischen Zivilgesellschaft ist bereit, die politischen Entscheidungsträger*innen, Verwaltungen und Parteien zu beraten und kritisch-konstruktiv zu begleiten. Die Landespolitik sollte dieses Angebot nutzen, denn die großen Probleme der Zukunft sind nur durch eine gemeinsame Anstrengung zu lösen.
Nach der Krise ist vor der Krise
Mit solch einer Neuorientierung der Politik könnten deutliche Fortschritte angestoßen werden, die den Menschen, der Natur und der Wirtschaft in Rheinland-Pfalz zugutekämen und unser Land ein Stück ökologischer und solidarischer machen würden. Von hier aus müssen auch Impulse in die Kommunen und in die anderen Bundesländer ausgehen, damit ein gesamtgesellschaftlicher Reformprozess in Gang kommt, der unsere Lebensgrundlagen und unser demokratisches Gemeinwesen besser vor Krisen schützt. Hierbei spielt eine starke Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle. Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass auch in Zukunft weitere Krisen und Katastrophen auf uns zukommen. Beispielsweise die Klimakrise oder die Biodiversitätskrise haben eine deutlich existenzbedrohendere Dimension für die gesamte Erde als ein Virus. Sie werden noch erhebliche, teils unvorstellbare Anstrengungen erfordern über viel längere Zeiträume als bei der derzeitigen Krise. Wir erwarten von allen politisch Verantwortlichen, dass sie diese Krisen ebenso ernstnehmen und mit wirksamen Maßnahmen angehen wie die Pandemie. Dies ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Die Erfahrungen im Umgang mit Corona zeigen jedoch auch die Chancen, die in einer gemeinsamen Kraftanstrengung einer Gesellschaft gegen solch umfassende Bedrohungen liegen. Erfolgs- und Solidaritätserlebnisse, neue Erfahrungen und eine tiefgreifende Neubesinnung, gewonnen in der aktuellen Krise, können uns für diese künftigen Auseinandersetzungen stärken und unser Land ein Stück krisen- und zukunftsfähiger machen. Die Gesellschaft und ihre Verbände sind zu tiefgreifenden Reformen und Anstrengungen bereit. Die Politik muss diesen Mut noch beweisen.
Wir werden darum auch bei den kommenden Wahlen die politischen Akteur*innen – insbesondere die Landesparteien – daran messen, inwieweit sie zu diesen neuen Wegen bereit sind.
[1] Wobei das Ziel 8 eines „dauerhaften nachhaltigen Wirtschaftswachstums“ zumindest für die Industrieländer kritisch betrachtet werden muss, da ein weiteres Wirtschaftswachstum in nachhaltiger Form nicht möglich sein dürfte.