BUND Landesverband
Rheinland-Pfalz

Naturschutzverbände reichen Stellungnahme zum Ausbau der A 643 ein

12. November 2019 | Mobilität, Nachhaltigkeit, Naturschutz

BUND: Geplanter Ausbau verstößt gegen Naturschutzrecht, für Mensch und Natur verträglichere Varianten sind möglich

 (Sabine Yacoub)

12.11.2019, Mainz. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Landesverband Rheinland-Pfalz hat am 11.11.2019 fristgerecht seine Stellungnahme zum geplanten Ausbau der A643 abgegeben. „Nach eingehender Prüfung sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorgelegten Planungen gegen Naturschutzrecht verstoßen und dass es Alternativen gibt, die sowohl zu weniger Lärm- und Abgasbelastungen für die Bevölkerung führen als auch zu weniger Eingriffen in die wertvollen Naturschutzgebiete Mainzer Sand und Lennebergwald“, meint BUND-Landesvorsitzende Sabine Yacoub.

Allen voran sei dies die Variante, die Vorlandbrücke zu bauen, um den Anschluss an die neue Schiersteiner Brücke zu gewährleisten, und auf den restlichen Ausbau zu verzichten. „Der Klimawandel und das Artensterben sind im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Ich bin davon überzeugt, dass dies die längst überfällige Mobilitätswende voranbringen wird. Dafür müssen wir den öffentlichen Verkehr ausbauen und nicht weitere Autobahnen“, ist Yacoub überzeugt.

Details

Der BUND hat die Planfeststellungsunterlagen intensiv geprüft und in engem Austausch mit den Naturschutzverbänden GNOR und NABU sowie weiteren Experten eine 62-seitige Stellungnahme verfasst. Im Folgenden eine Zusammenfassung der wichtigsten Argumente (die vollständige Stellungnahme hängt an):

Der BUND lehnt den Ausbau in der vorgesehenen 6-streifigen Form ab. Die Naturschutzgebiete und Natura 2000-Gebiete Mainzer Sand und Lennebergwald haben eine sehr hohe Bedeutung für den Naturschutz und den Artenschutz. Ein 6-streifiger Ausbau würde erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die komplexen natürlichen Abläufe in den wertvollen Lebensgemeinschaften haben und die Biodiversität beeinträchtigen. Dazu trägt der Flächenverlust bei. Er beträgt laut Planunterlagen (Landschaftspflegerischer Begleitplan 19.1.7, Seite 74) insgesamt 15,72 ha. Darin sind 7,94 ha (temporäre) Bauflächen enthalten, die nach einigen Jahren rückgebaut werden. Es verbleiben somit 7,78 ha dauerhafter Flächenverlust, das sind fast 10 Fußballfelder. Außerdem wird die vorgesehene hohe Lärmschutzwand das Kleinklima negativ verändern und damit die Lebensbedingungen vieler geschützter Tier- und Pflanzenarten verschlechtern und zusätzliche Barrierewirkungen erzeugen.

Die Entscheidung des Bundesverkehrsministers für den 6-streifigen Vollausbau erfolgte im Jahre 2013 gegen den Willen der damaligen Landesregierung. Seitdem haben sich weitere gravierende Änderungen des gesellschaftlichen und politischen Umfeldes ergeben. Klimaschutz, Umweltschutz und Artenschutz und damit die Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung des Mobilitätsverhaltens haben gesellschaftlich einen viel höheren Stellenwert. Dem trägt der Planentwurf nicht Rechnung. Er schreibt verkehrspolitisch einen Ansatz fort, der schon lange als überholt, unverträglich und schädlich angesehen werden muss. Die Untersuchungen zum Mobilitätsverhalten beziehen sich auf das Jahr 2008, neuere Verkehrszählungen wurden nicht vorgenommen. Insofern kann als sicher angenommen werden, dass die Prognosen für das Jahr 2030 erheblich zu hoch und damit nicht zutreffend sind.

Die vorgelegten Planfeststellungsunterlagen sind aus unserer Sicht fehlerhaft und absolut unzureichend, aus folgenden Gründen:

  1. Fehlende Alternativenprüfungen. Diese sind sowohl europarechtlich als auch nach deutschem Naturschutzrecht vorgesehen. Es handelt sich um 3 Varianten:

    Die so genannte „4+2-Lösung“ (temporäre Seitenstreifenfreigabe) wird zwar genannt, aber verworfen und daher nicht ausreichend untersucht. Die genannten Gründe sind größtenteils nicht nachvollziehbar. So etwa eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, obwohl es dafür bei der Vielzahl solcher in Betrieb befindlichen Lösungen keinerlei Belege gibt. Es wird auf Vorgaben des Bundesverkehrswegeplans und Verträge zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz verwiesen, obwohl diese änderbar sind. Es werden Mindestausbauquerschnitte genannt, dafür aber Steigerungsraten des Verkehrs zugrunde gelegt, die geändertes Mobilitätsverhalten und Ausbau des ÖPNV nicht berücksichtigen.

    Die „Nulloption plus Vorlandbrücke“ wurde ebenfalls nicht in Betracht gezogen. Wegen der hohen naturschutzfachlichen Bedeutung des Mainzer Sandes und Lennebergwaldes wäre es durchaus möglich, auf einen Ausbau durch die Naturschutzgebiete zu verzichten, die Vorlandbrücke aber wie vorgesehen zu bauen, um den Anschluss an die in Bau befindliche Schiersteiner Brücke herzustellen. Wir hatten frühzeitig auf die Möglichkeit einer Trennung des Planfeststellungsverfahrens Vorlandbrücke/übriger Bereich hingewiesen wurde. Diese Trennung ist aber auch nach gegenwärtigem Planungsstand noch möglich.

    Schließlich ist in den Planunterlagen (Erläuterungsbericht s. 31 und 57) unter 3.1.4. nachrichtlich eine Variante erwähnt, die bei früheren Planungen im Zusammenhang mit der Schiersteiner Brücke eine Rolle spielte. Es handelt sich um eine Tieferlegung der Autobahn im Bereich Mainzer Sand mit Überdeckelung in Geländehöhe, also eine Deckel- bzw. Tunnellösung (nicht zu verwechseln mit Rheintunnel). Der Vorschlag ist in den Unterlagen als die naturschutzfachlich am wenigsten beeinträchtigende Variante bezeichnet. In der Tat würde eine Deckellösung die Menschen optimal vor Lärm und Abgasen schützen und gleichzeitig der Natur einen Mehrwert zukommen lassen, indem die jetzige Trennwirkung der Autobahn aufgehoben und die beiden Teile des Mainzer Sandes wieder zusammengefügt würden. Diese für Menschen und Natur optimale Variante wurde nicht untersucht, Gründe sind nicht genannt. Möglicherweise würde eine solche Lösung teurer als die anderen, aber dabei stellt sich die Frage, ob Kostengründe allein weitere Belastungen für Menschen und Zerstörungen von Natur und Umwelt rechtfertigen.

     
  2. Die in den Planunterlagen vorhandenen naturschutzfachlichen Gutachten sind fehlerhaft. Die Gutachter kommen zwar durchweg zu dem Ergebnis, dass es sich um hochwertige Habitate handelt und eine massive Beeinträchtigung der Lebensräume und Arten vorliegt. Diese - richtige - Bewertung hätte zu dem Ergebnis führen müssen, dass der geplante Voll-Ausbau nicht mit den Schutz- und Erhaltungszielen der geschützten Natura 2000-Gebiete und der Naturschutzgebiete zu vereinbaren und daher eine Realisierung des Vorhabens in der vorgesehenen Form nicht möglich ist. Davon abgesehen wurden einige Arten nicht näher untersucht, die in den Anhängen der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie als wertgebende Arten genannt sind (Baumfalke, Grauspecht, Heidelerche, Neuntöter, Schwarzspecht und Ziegenmelker sowie die Schmetterlingsart Spanische Flagge/Russischer Bär und die Libellenart Asiatische Keiljungfer). In die Betrachtung der naturschutzfachlichen Wertigkeit vor allem des Mainzer Sandes wurden außerdem Arten der Bundesartenschutzverordnung, Rote-Liste-Arten, streng und besonders geschützte Arten nicht einbezogen. Es handelt sich um die Gruppen der Hautflügler (Wildbienen), Schmetterlinge, Käfer und Spinnentiere sowie floristische Arten. Die Artengruppen sind ökologische Schlüsselgruppen mit entscheidender Bedeutung für die Biodiversität. Deren Nichtbeachtung führte insgesamt gesehen zu einer naturschutzfachlichen Unterbewertung.

    Bei der Bewertung der Befunde wurde nicht nur das Verschlechterungsverbot, sondern auch das Optimierungsgebot der EU-Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie komplett außer Acht gelassen. Bei adäquater Anwendung von Geist und Buchstabe des europäischen Naturschutzrechts kann der Ausbau daher nicht als genehmigungsfähig betrachtet werden. Beide vorgenannten Gründe haben die Bedeutung eines rechtlich relevanten Abwägungsfehlers.

 

Vollständige Stellungnahme des BUND RLP zum Ausbau der A 643 finden Sie hier

 

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