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Rheinland-Pfalz

Nachtfluglärm: Wie man mit Statistik lügen kann

18. Dezember 2004 | Mobilität, Ressourcen & Technik

BUND-Tagung befürchtet schlimme Folgen einer scheinwissenschaftlichen Studie Gegenseite schlägt Einladung aus

MAINZ. Daten der Krankenkassen offenbaren, dass in Wohngebieten mit erhöhter Nachtflugbelastung auffällig mehr Beruhigungsmittel und Schlaftabletten als in anderen Gebieten verschrieben werden. Unter anderem mit diesem Befund trat Professor Dr. Eberhard Greiser vom „Zentrum für Public Health“ (Universität Bremen) heute auf der BUND-Tagung „Junk-Science oder seriöse Wissenschaft?“ den anhaltenden Versuchen entgegen, mittels Mathematik und Rechentricks von bestürzender Primitivität die durch Nachtfluglärm hervorgerufenen Belastungen der Bevölkerung zu bagatellisieren.

Greiser setzt sich in seinem Referat „Kritische Anmerkungen zur DLR-Studie“ intensiv auseinander mit der sog. STRAIN-Studie des „Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR)“, deren umstrittene Ergebnisse als Grundlage für anstehende Verwaltungsgerichtsentscheidungen sowie bei Genehmigungsverfahren für Flughafenausbau und bei der Novellierung des deutschen Fluglärmgesetzes von 1971 dienen werden.

Auch auf die wiederholte Einladung, an der Tagung mitzuwirken, hatte das DLR mit einer Absage reagiert.
Den Manipulationen mit Mittelwerten, die die tatsächliche Belastungssituation von Flughafenanwohnern völlig verschleiern, stellt Greiser die „Grundsätze der guten epidemiologischen Praxis“ (gemäß GEP-Richtlinien der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Epidemiologie) gegenüber und kommt dabei zu niederschmetternden Ergebnissen:


  • Die ausgewählten Probanden der DLR-Studie seien nicht repräsentativ für die betroffene Bevölkerung,
  • wichtige Personengruppen wie z. B. Herz-Kreislauf-Kranke oder Schichtarbeiter bleiben von der Untersuchung ausgeschlossen,
  • die zu geringe Probandenzahl erlaube keine Verallgemeinerung der Ergebnisse.

Generell Unbrauchbarkeit und Scheinwissenschaftlichkeit der z. Zt. verfügbaren Untersuchungen zur Fluglärmbelastung bescheinigte darüber hinaus das Referat eines diplomierten Mathematikers. Dies erweise sich an der fehlerhaften Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung, unwissenschaftlichen mathematischen Aussagen und allzu saloppem Umgang mit Daten; anstelle der Offenlegung der Datengrundlage werde lediglich lapidar auf die „Erfahrung“ des Gutachters verwiesen.


Fazit

Die Aussage, dass es erst nach dem 6. nächtlichen Überflug bei einer Aufweck-schwelle von 60 dB(A) zu einer Aufwachreaktion komme, kann man sich zwar mit statistischen Zahlenspielen zurechtmanipulieren, mit den Realitäten lärmgeplagter Flughafenanwohner jedoch hat das nichts zu tun.

Sollte die DLR-Studie weiter unhinterfragt bleiben, könnte dies durchaus einen Rückfall noch hinter die bisher gültigen Lärmschutzstandards mit sich bringen. Deutschland würde in Europa zum Nachtflugland schlechthin.

Ulrich Mohr, BUND Rheinland-Pfalz (Pressesprecher)


Nachtrag

Für den fachlichen Laien am besten nachvollziehbar ist die wissenschaftliche Fragwürdigkeit der DLR-Studie nach der Idee eines BUND-Mitarbeiters an Hand folgender Fragestellung: Wie ermittle ich die Zahl an faulen Eiern, die in einer Fuhre von 1 Million Eiern steckt?

Diese Frage ist Teil der wie folgt angenommenen Situation:

Jemand will eine LKW-Ladung mit einer Million Eiern als Sonderangebot auf den Markt werfen. Auf die Frage, wie viel Eier darin enthalten sind, legt er eine „wissenschaftliche“ Expertise vor, die besagt, Wissenschaftler hätten die Eier genau geprüft. Dazu hätten diese sich aus einer Ecke im LKW 64 Eier ausgesucht und 15.556 Untersuchungen daran durchgeführt. Drei der Eier hätten sich der Prüfung widersetzt, 4.898 Untersuchungen mussten aus technischen Gründen gestrichen werden, sodass insgesamt 10.658 Prüfungen an 61 Eiern stattfanden. Aufgrund dieser hohen Untersuchungszahl kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, ein faules Ei in der LKW-Ladung zu finden, 5 Prozent betrage.

Hieraus ergeben sich folgende Fragen:


  • Darf man davon ausgehen, dass die Wissenschaft in der Lage ist, vom Zustand von 61 Eiern auf den Zustand von 1 Million Eiern zu schließen?
  • Kann man darauf wetten, dass 61 untersuchte Eier den Rückschluss erlauben, dass die gesamte LKW-Ladung genau 5 Prozent faule Eier enthält?
  • Kann man darauf wetten, dass in jeder 20er Eierpackung nur genau 1 faules Ei vorkommt?
  • Kann man darauf wetten, dass nur in ganz seltenen Fällen eine 20er Packung mehr als ein faules Ei enthält?

Nächste vorgestellte Situation:

Jemand soll die Reaktion von 1 Million Menschen auf Nachtfluglärm untersuchen .Er untersucht akribisch 61 Probanden anhand von 10.658 Fluglärmereignissen und kommt zu dem Ergebnis, dass - auf einen bestimmten Lärmpegel - 5 Prozent der Versuchspersonen reagieren.

Hieraus ergeben sich folgende Fragen:

  • Ist anzunehmen, dass Wissenschaftler in der Lage sind, aus der Kenntnis des Verhaltens von 61 Probanden sicher auf die Reaktion von 1 Million Menschen zu schließen?
  • Kann man darauf wetten, dass man aufgrund der Untersuchungsergebnisse bei 61 Probanden sicher sein kann, dass jeder der 1 Million Menschen erst bei genau 20 Fluglärmereignissen genau einmal reagiert?

Weitere vorgestellte Situation:

Jemand soll die Reaktion von 1 Million Menschen auf Nachtfluglärm untersuchen. Er untersucht sehr akribisch 61 Probanden, die nicht nach dem Zufallsprinzip ermittelt wurden und keine repräsentative Gruppe darstellen, anhand von 10.658 Fluglärmereignissen.

Die Unterschiedlichkeit ist so groß, dass es Versuchspersonen gibt, die bei 3,8 Prozent der Geräusche aufwachen, andere dagegen bei 88 Prozent.

Trotzdem ordnet man am Ende der Untersuchung jeder Versuchsperson die gleiche Aufwachwahrscheinlichkeit zu und schließt daraufhin auf das Verhalten von 1 Million Menschen.


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